Vor zwei Tagen sah ich eine technische Analyse von Alexander Zverev.
Diese zeigte in einem kurzen Video seine vorbildliche Aufschlagbewegung, die jeder Jugendliche direkt so übernehmen kann. Zu dieser Analyse schrieb der Verfasser, dass es ja merkwürdig sei, dass bei dieser Aufschlagtechnik so unendlich viele Doppelfehler passieren.
Was du als erfahrener Haudegen zwischen T- und Grundlinie bereits weißt: Es ist nicht die Technik, die Doppelfehler verursacht. Es ist der Kopf.
Es gibt im mentalen Training einen ziemlich fest im Boden verwurzelten Grundsatz. Ich habe nicht mit Alex gesprochen und kenne sein Umfeld nicht. Aber was für Alex gelten könnte, kann auch dich vor Doppelfehlern, Unsicherheit, starker Reizbarkeit und extrem hoher Emotionalität auf dem Platz bewahren.
Dieser Grundsatz lautet: Du spielst das, was du denkst.
Das Versteckspiel deiner Psyche dabei ist, dass diese das Wort "nicht" nicht kennt. Merke dir dies, denn dieser Fakt ist das Kernelement für dich in diesem Artikel. Wir werden den Alex nicht zerreißen. Das machen schon andere Medien, die vermutlich weniger Ahnung von Tennis haben als wir beide.
Wir wollen verstehen was in seinem Kopf vorgeht, warum Alex so viele Doppelfehler serviert und so enorm sensibel auf dem Court ist.
Und: Wir wollen natürlich, dass du daraus für deine Karriere lernen kannst.
Lesetipp: Die schnellsten 3 Wege zu einer perfekten Vorhand
Lass uns mit einer kleinen Geschichte beginnen, um dieses "Kopfproblem" ein wenig besser darstellen zu können.
Als kleiner Junge fuhr ich in Dänemark immer mit meinem Fahrrad von unserem Ferienhaus zum nahe gelegenen Strand.
Der Weg führte durch ein kleines Waldstück, welches zum Ende des Weges hin besser belichtet war als noch zu Beginn. Der Weg war, ähnlich wie meine Schultern, äußerst schmal. Immer wenn ich das Meer sehen konnte, wurde ich euphorisch und trat noch fester in die Pedale.
In dieser Euphorie übersah ich eines Tages eine riesige Wurzel, die aus einem mächtigen Baum am Rand des Weges ragte. Ich plumpste aus dem Sattel, fiel auf mein linkes Knie und nahm sofort den erhöhten Puls und das Adrenalin wahr. Bis auf eine schramme am Knie, etwas Blut und einem gehörigen Schrecken passierte nichts.
Das Fahrrad war noch heile; das Lenkrad nur etwas verbogen.
Ich stand auf, schnappte mir das Rad und ging die letzten Meter, mein Fahrrad links neben meinem verwundeten Knie schiebend, zum Strand.
Diese Wurzel steht sinnbildlich für die mentale Vorbereitung vieler Spieler - so eventuell auch bei Alexander Zverev. Ich erlebe es im mentalen Training oft, dass Spieler über eine selbst gepflanzte "gedankliche Wurzel" stolpern. Leider schaffen sie es dann nicht sich kurz zu schütteln, einmal über die Schramme zu pusten und ihren Weg weiterzugehen.
Wir Menschen sind schon kompliziert.
Du besitzt Gedanken. Diese Gedanken erwecken in dir Bilder. Diese Bilder wiederum füllen deinen Körper mit Emotionen. Diese Emotionen erwecken echte, von dir so empfundene, körperliche Symptome.
Auf diese Weise entsteht zum Beispiel der zusammengezogene Magen mitsamt schwitzigen Handflächen, wenn du das volle Wartezimmer bei deinem Hausarzt betrittst.
Wir versetzen uns jetzt in die Lage von Alexander Zverev vor seinem Match gegen Stefanos Tsitsipas beim ATP-Cup. Da erwartet ihn ein Gegner, den er nicht mag. Die letzten vier Duelle hatte Alex gegen den schönen Griechen obendrein verloren.
Du weißt selbst wie du dich fühlst, wenn du gegen jemanden spielen musst, den du nicht magst und nicht schlagen kannst. Da findest du dich mit deinem Ego sehr schnell in der Endphase eines MMA-Fights wieder. Dein Ego ist dabei nicht irgendein Kämpfer, sondern Israel Adesanya.
In seinem Match zuvor servierte Zverev reihenweise Doppelfehler. Du wirst aus eigenen Erfahrungen bei deinen Turnieren wissen, dass Doppelfehler ein klares Indiz für totale Verunsicherung sind. Hier kann mentales Training helfen.
Oder, Sascha?
Wir definieren kurz den Begriff "Verunsicherung", um diesen besser packen zu können:
Verunsicherung = kein Vertrauen in die eigenen spielerischen Fähigkeiten. Die Bewegungen fühlen sich fremd an und können nicht automatisch, ohne zu überlegen, aus dem Unterbewusstsein abgerufen werden. Der Spieler muss sehr viel gedankliche Arbeit leisten, um seine Ausholbewegungen durchzugehen. Dies zerrt an den Nerven und der Konzentrationsfähigkeit.
Nun wird Alexander Zverev selbstverständlich auch mal sein Smartphone in die Hand nehmen und lesen, was über ihn geschrieben wird. Das ist menschlich und kann, so zumindest meine persönliche Vermutung, die oft unterschätzte Portion "Hass" liefern, um seine Einstellung noch zu schärfen.
Wir fassen die mentale Verfassung von Alex vor seinem Match gegen den "youtubenden" Stefanos zusammen:
All diese Zutaten kommen jetzt in Einmachglas. Wir drehen den Deckel fest zu, schütteln kräftig, drehen den Deckel wieder auf, schauen auf die tödliche Mischung und geben dem Ganzen noch K.O. - Tropfen hinzu.
Diese Tropfen wirken wie folgt:
Ich werde dieses Phänomen so simpel wie möglich in Worte fassen.
Du denkst vor deinem Match:
"Verfluchter Mist, ich habe vorgestern nur Doppelfehler serviert ... Was lief falsch? Mist ... Morgen darf ich auf keinen Fall Doppelfehler servieren. Ich darf nicht wieder so viele zweite Aufschläge ins Aus spielen. Ich muss einen Weg finden nicht mehr so viele Doppelfehler zu servieren. Verdammt, wie kann ich das lösen?"
Ich gehe jetzt nicht darauf ein, dass man sich durch solche Gedanken vollends mit seinem Problem, aber nicht mit dessen Lösung identifiziert. Das wird vielleicht in den nächsten Wochen mal Thema sein.
Es geht jetzt um die "echte" Message, die du deinem Geist durch diese Gedanken mitteilst. Wie bereits angesprochen kennt deine Psyche das "nicht" nicht.
Come on!
Daraus ergibt eine ganz andere Message, die du mit auf den Platz nimmst:
"Verfluchter Mist, ich habe vorgestern nur Doppelfehler serviert ... Was lief falsch? Mist ... Morgen darf ich Doppelfehler servieren. Ich darf wieder viele zweite Aufschläge ins Aus spielen. Ich muss einen Weg finden viele Doppelfehler zu servieren. Verdammt, wie kann ich das lösen?"
Logisch, oder? ;-)
Lesetipp: Die Masalo Manschette
Ich wollte an dieser Stelle das Match von Alexander Zverev gegen Stefanos Tsitsipas nicht analysieren. Stefanos spielt tolles Tennis und würde noch besser spielen, wenn er sich selbst nicht so furchtbar ernst nehmen würde.
Alex hat große mentale Probleme, die man aber mit mentalen Übungen lösen kann.
Viel mehr wollten wir verstehen, warum Zverev seinen Dad anbrüllt, Boris wie einen überforderten alten Freund aussehen lässt und jedem jungen Spieler eine perfekte Anleitung zeigt, wie man sein Racket vernünftig zertrümmert.
Dieser Artikel soll die Leistungen von Zverev nicht in ein Licht rücken, welches die Sache schöner aussehen lässt, als sie ist. Du kannst als Hobbyspieler (oder selbstverständlich auch als Profi) immer sehr viel von anderen Spielern lernen. Dazu musst du nicht die Ausholbewegungen deiner Vorbilder kopieren. Das wird in vielen Fällen nicht funktionieren, weil jeder Spieler seine individuellen Abläufe hat.
Aber du hast auch deine gedanklichen Abläufe, so wie alle anderen Spieler auch. In genau diesem Bereich kannst du vor allem aus den Fehlern anderer Spieler lernen.
Bevor du ein Haus bauen kannst, benötigst du ein Grundstück.
Bevor du dich spielerisch weiterentwickelst, benötigst du die richtige Einstellung. Die hohe Kunst dabei ist es sich selbst kritisch zu hinterfragen, um anschließend mit den ehrlichen Antworten arbeiten zu können.
Dann überlebt es in Zukunft auch der Schlägerrahmen.
5 Kommentare
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Liebe Grüße
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Liebe Grüße
Marco
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