Dominic Thiem und drei Lehren, die dich als Turnierspieler langfristig verbessern können

Marco Kühn
von Marco Kühn

Winter 1992.

Irgendwo im verschneiten Deutschland:

"Papa, warum fliegt der Hund mit Kindern auf seinem Rücken durch die Gegend?".

Ich war acht Jahre jung, es war Heiligabend und ich saß mit Topfschnitt im Schneidersitz vor dem Röhrenfernseher. Die Augen folgten gebannt der Geschichte, die in teils skurrilen Bildern mit fliegenden Hunden und sprechenden Orakeln erzählt wurde.

Hast du eine Ahnung, wie der Film hieß?

Ich schaute "Die unendliche Geschichte".

Es war eine coole Ablenkung, bevor am Abend endlich die Geschenke unter dem Tannenbaum ausgepackt werden konnten. So nervte ich nicht die ganze Zeit herum, während die Erwachsenen mit der Organisation des Tages beschäftigt waren.

Ähnlich aufgeregt wie damals vor dem Besuch des Weihnachtsmannes war ich knapp 22 Jahre später, als Dominic Thiem mir ein Mini-Text-Interview via Facebook gab. Mit exakt 0 Lesern auf meinem Blog hatte ich nichts zu verlieren und er nichts zu gewinnen. Trotzdem sagte er sofort "Ja" zu der Idee und sendete mir seine Antworten auf meine Fragen innerhalb von 24 Stunden.

Ja klar, er war damals kein Top 100 Spieler. Und vermutlich würde es heute nicht mehr so ablaufen. Aber ich würde auch nicht mehr dieselben (teils langweiligen) Fragen stellen. Das ist auch nicht so entscheidend.

Viel entscheidender ist dies:

Sein Charakterzug in dieser Geschichte war mir damals eine große Lehre.

Wie lautete diese Lehre?

Wenn man was reißen möchte, dann zählen maßgeblich die Dinge die man tut, wenn keiner einen dabei sieht.

Wir Zuschauer sehen im Stream die Erfolge der Spieler. Wir sehen aber nie die harte Arbeit und den Verzicht, der diese Erfolge formt. Wir waren nicht dabei, als ein Dominic Thiem (oder viele weitere Spieler natürlich) auf der Challenger-Tour unterwegs war, ohne eine Garantie auf eine erfolgreiche Karriere zu haben. Weit entfernt von Geld und Ruhm. Nah dran am Draufzahlen pro Turnier und Reise. Wir als Außenstehende haben keine Ahnung davon, wie schwierig es ist, als ständig Reisender Liebesbeziehungen zu führen.

Die Freundin oder den Freund immer wieder vertrösten zu müssen. Immer wieder und wieder den Sport an die erste Stelle zu positionieren. Oder echte, langfristige Freundschaften aufzubauen und zu pflegen. Abends für sich zu sein, weit entfernt von der eigenen Heimat und ohne einen blassen Schimmer zu haben, ob man das Richtige tut.

Im Zeitalter der (a)sozialen Medien kann jeder geistig halbstarke seinen Gedankenbiomüll über die Leistungen von Tennisspielern verbreiten. Jeder, der dabei respektlos dem Spieler gegenüber wird, sollte die Finger lieber vom Smartphone nehmen, diese desinfizieren und sich dann umgehend an die eigene Nase packen.

Niemand, der erfolgreich ist, spricht oder schreibt abwertend oder respektlos über andere. Respektloses Verhalten ist die eigene, teils seit Jahren angestaute Unzufriedenheit, die wie ein T-Shirt über den Kopf eines anderen gezogen wird.

So, jetzt schauen wir uns mal an, was du von einem Champion wie Dominic lernen kannst, um dich als Tennisspieler maßgeblich zu verbessern. Allen voran in deinen Meisterschaftsspielen und Turniermatches.

Dazu gehen wir ein paar Lehren durch, die du von Dominic Thiem für deine Entwicklung als Tennisspieler mitnehmen kannst.

Die "Bilanz"-Lehre

New York. US Open 2020. Finale.

Leeres Arthur Ashe Stadion.

0:2 Sätze hinten. Und das im vierten Grand-Slam Finale. Die nüchterne Bilanz in diesen großen Finals bis zu diesem Zeitpunkt: 0:3.

Die Aufschläge des Gegners schlugen wie eine Mike Tyson Schlagkombination rechts und links ein. Mit einer Konstanz, die einem den Mut rauben konnte. Immer wieder an die Linien. In nahezu jedem Aufschlagspiel mit einer fast satirisch hohen Quote.

Dominic Thiem spielte bereits gegen Rafa starke Grand Slam Finals. Doch leider reichen herausragende Schläge in diesen epischen Spielen nicht aus. Die satt getroffene Vorhand, die mit einer geringen Fehlerquote gespielte Rückhand. jede Ballwechsel-Statistik würde sich freuen.

All das langt in einem Best of five Match nicht zum Sieg. In großen Spielen brauchst du als wahrer Champ eine Frustrationstoleranz so hoch wie der Mount Everest. Du musst an dich glauben, wenn dein Team dabei ist diesen Glauben an dich zu verlieren. Du musst Phasen, in denen du keine drei Bälle in Serie ins Feld spielst und sich jeder Schlag anfühlt als hättest du eine Bratpfanne in der Hand, emotionslos abhaken können.

Und, die vielleicht entscheidende Fähigkeit eines echten Champions:

Du musst dir in diesem Wahnsinn eines Matches ein Freund und Trainer sein. 

Etwas, was ein Nick Kyrgios beispielsweise, zum Glück für seine Konkurrenten, nie hinbekommen hat und nie hinbekommen wird.

Was tat Dominic in der Stille des Abends?

Er blieb cool, abgebrüht, positiv.

Brandon Nakashima besitzt ähnliche "Wesenszüge" auf dem Court.

Wir können davon ausgehen, dass er wie ein Fuchs auf der Lauer liegend auf seine Chance gewartet hat. Auf den Moment, in welchem Sascha ein bisschen schwächer und Dominic selbst etwas besser spielte. Und in diesem Moment packte er zu.

Jepp, Matthias Stach nennt das Ganze dann Momentum.

Dies kann ein Aufschlag-Game oder auch nur ein einzelner Punkt sein. Da platzt dann ein Knoten für einen der Spieler. Und beim Gegner auf der anderen Seite wickelt sich ein Knoten.

Dominic hat dies im US Open Finale, welches spielerisch - nichts gegen die beiden Jungs - nicht das stärkste war, hervorragend hinbekommen. Er war bei sich, blieb ruhig und hatte auch nach 0:2 Sätzen den Glauben, das Ding noch drehen zu können.

Was können wir aus diesem Match von Domi lernen?

Zeige deinem Gegner nicht, wenn dessen Stärke dich überrollt. 

Dominic blieb trotz der Gewaltaufschläge und dem nahezu fehlerfreien Tennis von Sascha in den ersten beiden Durchgängen cool wie Bruce Willis in Stirb langsam.

Je mehr du deinem Gegner über dein Seelenleben im Match verrätst, desto stärker machst du deinen Konkurrenten.

Eine weitere wichtige Lehre aus diesem Match ist die Fähigkeit den zukünftigen Spielverlauf erahnen zu können - und damit Frieden zu schließen. Was wäre passiert, wenn Sascha auch im dritten Satz wie ein Bär serviert und fehlerfreies Tennis gezeigt hätte? Dann hätte Domi seinem Kumpel gratuliert, ohne sich in irgendeiner Form einen Vorwurf zu machen.

Mal gewinnt man, mal verliert man. So ist das im Tennis.

Dominic blieb aber trotz der 0:3 Grand-Slam-Finalbilanz und dem 0:2 Satzrückstand fokussiert. Wahrscheinlich mit dem Gedanken im Kopf, dass er nochmal eine Chance bekommen würde. Eine großartige Fähigkeit, die dir als Clubspieler viel mehr innere Ruhe geben kann.

Lesetipp bei Tennisarm: Die Masalo Manschette

Die "Wofür man hart trainiert"-Lehre

Wie oft standest du mit hängenden Schultern und fragendem Blick an der Grundlinie und hast dir gedacht:

"Wofür mache ich den Schei$$ hier überhaupt?".

Ich kann dich verstehen. Zu meiner aktiven Turnierzeit habe ich einige Matches gegen Mondballspieler verloren. Nach diesen Spielen hätte ich am liebsten meine Tasche bei eBay verkauft und die Schläger an ein paar Kids verschenkt.

Aber, das gehört leider zum Tennis dazu.

Im Juni 2019, auf dem legendären Court Philippe Chatrier, spielte Dominic gegen die lebendige Ballwand aus Serbien - Novak Djokovic. Stell dir vor, du spielst fünf Sätze gegen einen Typen, der nicht weiß was ein Unforced Error ist.

Und das auf einem nicht mal schnellen Sandplatz.

Ach ja, und derjenige ist zufällig auch noch die Nummer eins der Welt.

Dominic ackerte und rackerte sich zwei Tage an dieser Ballwand ab - und triumphierte. 6:2, 3:6, 7:5, 5:7, 7:5.

Allein beim lesen des Ergebnisses kommen Emotionen hoch.

Nach diesem Brocken wartete ein noch größerer Fels: Rafa Nadal. Was Dominic nach seinem Triumph über den Djoker sagte, ist für uns eine wichtige Lehre.

Er sagte:

" ... das sind genau die Momente, für die ich so hart trainiere das ganze Jahr. Die ganzen Emotionen sind unvergesslich. Es war ein sensationelles Match mit allem, was im Tennis dazugehört ... Es war sicher eines der schönsten Erlebnisse, die ich gehabt habe ...".

In meinen Mentalcoaching-Gesprächen merke ich oft, dass eine große Anzahl an Spielern extrem ergebnisorientiert denkt. Wenn es keinen Sieg gab, dann war es ein schlechtes Match.

Das Problem bei dieser Einstellung?

Beim Tennis ist es unausweichlich niederschmetternde Niederlagen zu erleben. Ich habe als talentierter Jugendlicher gegen einen Senioren bei den Clubmeisterschaften verloren. Diese Story findest du hier.

Tennis ist mit enormen Rückschlägen verbunden. Wer sich für einen schlechten Spieler hält, nur weil er seine letzten drei Matches verloren hat, der erschafft sich eine falsche Tenniswelt.

Ich habe ein riesiges Problem damit ergebnisorientiert zu denken. Klar, Ergebnisse sind wichtig. Aber was kommt denn vor guten Ergebnissen? Ich würde vorschlagen: Harte Arbeit und das Feilen an den eigenen Fähigkeiten. Wer als Clubspieler dreimal die Woche ein paar Bälle schlägt, ein Sätzchen tupft und anschließend drei Bier trinkt, der wird auch in fünf Jahren keine besseren Ergebnisse mit nach Hause bringen.

Feile an kleinen Hebeln in deinem Spiel, um großes Tennis im Turnier zeigen zu können.

Worauf ich hinaus will:

Trainiere nicht (nur) für gute Ergebnisse. Dominic sagte es in dem Zitat ein paar Zeilen weiter oben, nach einem epischen Triumph über einen Novak Djokovic, sehr treffend:

" ... das sind genau die Momente, für die ich so hart trainiere das ganze Jahr. Die ganzen Emotionen sind unvergesslich.".

Trainiere so leidenschaftlich wie es dir möglich ist. Aber nicht, um auf irgendeinem Spielbogen Zahlen zu sehen, sondern um unvergessliche Momente und Emotionen zu sammeln, von denen du auch noch in Jahren anderen Leuten erzählen kannst.

Ein Sieg ist mit deiner nächsten Niederlage wieder vergessen. Aber ein unfassbares Match, das bleibt dir in Erinnerung. Manche sagen sogar, dass diese unvergesslichen Matches die entscheidende Inspiration sein können, wenn man in einem dunklen Loch ist.

Aber das nur so nebenbei ... ;-).

Was ist die Lehre aus dieser Story?

Trainiere nicht für Siege, sondern für deine Entwicklung als Spieler (und Tennischarakter).

Lesetipp: Aufschlag: 18 zeitlose Wege, um großartig zu servieren (+ 3 Strategien für eine höhere Quote)

Die "Zeitreisen"-Lehre

Kennst du das?

Manchmal meint man, dass man nicht vom Fleck kommt. Man verspürt eine Stagnation. Und ganz kurz, für ein paar Augenblicke, verliert man seine Hoffnung.

Ich erinnere mich an ein ominöses YouTube-Video vor vielen vielen Jahren. Es zeigte einen älteren Mann, der mit links spielte. Auf der anderen Seite des Netzes wetzte ein junges Talent herum.

Verrückt:

Der Junge hatte blond gefärbte Haare. Eigentlich hätte sich ja der ältere Herr die Haare färben müssen ;-).

Welche Namen standen im Titel des Videos?

Thomas Muster und Dominic Thiem.

Jepp, Dominic machte mit einem Match in der Wiener Stadthalle gegen den "Ich will es doch nochmal wissen" Thomas Muster auf sich aufmerksam.

Und jetzt überleg` mal, wie weit dieser Junge mit den blonden Haaren gekommen ist. Wie viele andere Spieler haben solche Entwicklungen genommen?

Du kannst sie an zwei Händen abzählen.

Worauf will ich hinaus?

Eine tolle Lehre aus diesem Beispiel ist, dass du für dich mal in Zeitreisen denkst. Wie hast du noch vor fünf oder zehn Jahren aufgeschlagen? Wie sehr hat sich dein Wissen über Tennis in den letzten fünf Jahren erweitert?

Welche neuen Erfahrungen haben dir in den letzten Jahren schon geholfen ein Match doch irgendwie ins Ziel zu spielen?

Es geht gar nicht darum von einem LK 20 Spieler zu einem LK 1 Spieler zu mutieren. Tennis ist ein furchtbar komplizierter Sport. Einer der Gründe, warum so wenige wirklich herausragend Tennis spielen.

Es geht viel mehr darum, dass du dir mal echt bewusst machst, was du schon alles auf dem Court geleistet hast. Wie sich deine Technik oder deine Schlagentscheidungen verbessert haben. Wie du mit deinen ganzen Emotionen bei Meisterschafts- und Turnierspielen umgehst.

Wenn du mal eine Zeitreise unternimmst und viele Jahre zurück gehst, dann wird dir deine Entwicklung erst bewusst. Anschließend kannst du mal in die Zukunft reisen. Überlege dir, wie krass sich dein Spiel entwickeln kann, wenn du ab heute fünf Jahre bewusst an deinen einzelnen Fähigkeiten als Tennisspieler feilst.

Ohne dich zu kennen, aber aus einigen Jährchen Tenniserfahrung kann ich dir sagen, dass da einiges für dich zu holen ist. Es warten noch viele grandiose Matches auf dich, die von dir gespielt werden wollen.

Okay, einiges an Stoff für das Tennis-Köpfchen, oder? Deswegen schlage ich vor, dass wir die wichtigsten Sachen nochmal kurz auflisten:

  • Die Matchbilanz ist auf dem Court nicht so wichtig wie die Fähigkeit sich voll auf das Match zu konzentrieren
  • Messe deinen Erfolg nie an Siegen, sondern an deiner spielerischen, technischen und mentalen Entwicklung
  • Vergiss nie, wie weit du bereits gekommen bist und wie weit es für dich noch gehen kann

Ich möchte diesen Artikel mit einem Zitat beenden:

"You must stay drunk on writing so reality cannot destroy you" - Ray Bradbury.

Ersetze einfach "writing" durch "Tennis".

Marco Kühn
Marco Kühn
Marco ist an der Grundlinie groß geworden und ehemaliger Jugendranglistenspieler. Heute hilft er mit seinem Blog Clubspielern besser Tennis zu spielen. Er schrieb bereits für tennisnet.com, tennisMAGAZIN, Tennis-Point und den Focus.

Unterlaufen dir im Match zu viele vermeidbare Fehler, die dich frustrieren?

Trage dich für meine täglichen E-Mail-Tipps ein und erhalte kostenlos das Mini-eBook (PDF) "Mental stark durchs Match: Wie man mehr Matches gewinnt":
Deine Daten sind sicher wie das Cross-Spiel von Daniil Medvedev. Hier ist meine Datenschutzerklärung. Mit deiner Eintragung erhältst du täglich Tipps und Angebote zu Kursen und Seminaren.

Noch keine Kommentare vorhanden

Was denkst du?

© 2024 tennis-insider.de

DatenschutzImpressum
Tippfehler entdeckt? Sende mir eine E-Mail und erhalte einen Tipp für dein nächstes Match.
..