5 Lehren, die ich aus meiner Niederlage gegen einen 65-jährigen Tennisveteranen ziehen konnte

Marco Kühn
von Marco Kühn

Am Ende zog ich mit gesenktem Kopf und eingefallenen Schultern das Abziehnetz hinter mir her.

Die grüne Baseball-Cap verdeckte mein Gesicht.

Ich wünschte, mich hätte an diesem Tag niemand gesehen,

Abgefallene Blätter von den Bäumen streiften knapp die äußere Linie des Doppel-Korridors. Ich erkannte meine zahlreichen Rutschspuren, die sich durch diese bunten Blätter auf Platz fünf bohrten, die den Herbst ankündigten.

Hätte ich nach diesem Match Kilometergeld erhalten, mein Rentenantrag wäre noch an diesem Tag rausgegangen.

Was war geschehen?

Hatte ich gegen Richard Gasquet und Rafael Nadal gleichzeitig gespielt?

Nein. Es war schlimmer.

Nachdem ich bei den Bezirksmeisterschaften meinen ersten großen Titel holen konnte, musste ich nur wenige Tage später bei den Clubmeisterschaften gegen Helmut spielen. Helmut hätte über Winning Ugly gelacht.

Er war 53 Jahre älter als ich, trug das graue Haar fesch zu einem Seitenscheitel, glänzte durch eine große, moderne, graue Brille mit schmalem Gestell und war für sein Alter fit.

Die Socken hatte er fast bis zu den Knien gezogen. Sein weißes Shirt mit Kragen war, anders als meines, akkurat in die Hose gesteckt. Darüber trug er einen rot-schwarz gestreiften Pollunder.

Das war damals der Hit.

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Ich kannte Helmut schon mein Leben lang. Als ich mit sieben Jahren anfing das Racket zu schwingen, war er einer der wenigen Vereinsspieler, die sich mit mir als Anfänger auf den Court stellten, um die Vorhand zu üben.

Immer wieder kam er auf meine Seite, warf mir eine Filzkugel zu und korrigierte meine Ausholbewegung, Griffhaltung und Ausschwung.

Vermutlich wusste er daher auch, wie er mich problemlos vom Platz pusten konnte, ohne dabei auch nur einen schnellen Ball spielen zu müssen.

An diesem Tag spielten Helmut und ich die erste Runde bei den Clubmeisterschaften. Als zwölfjähriger, der recht gut die Vor- und Rückhand traf, spielte ich bei den Erwachsenen mit. Helmut war damals die Ikone im Verein. Unzählige Clubmeistertitel prägten in Form von Pokalen seine Vitrinenschränke. Er hatte auf dem Tennisplatz so gut wie alles erlebt, was man als Clubspieler erleben konnte.

Verheiratete Männer mit ordentlich Kohle auf dem Konto, die aufgrund zwei verschlagener Vorhände zwischen T- und Grundlinie zu weinenden Kindern mutierten - innerhalb von drei Sekunden.

Typen, die sich und ihre spielerischen Fähigkeiten vollkommen überschätzten.

Grandiose Techniker, die allein durch das Setzen ihrer Schläge zahlreiche Titel gewannen.

Mondballspieler, die allein durch hohe Bälle auf die gegnerische Rückhand ebenfalls zahlreiche Titel gewannen.

All diese Erfahrung nutzte er, während unseres Matches immer wieder zufrieden grinsend, um mich sang- und humorlos aus dem Turnier zu befördern.

Ich stelle dir jetzt die fünf Lehren vor, die ich aus dieser zermürbenden Niederlagen mitnehmen konnte. Damit dir nicht das passiert, was mir damals geschah.

Und damit du ein klein bisschen mehr über unseren geliebten Sport lernen kannst.

Lass uns starten.

1) Einen kurzen Slice sollte man besser nicht als Einladung zum Winner verstehen

Helmut ging mit seinem Slice so um, wie die heutige Jugend mit ihrem Leben:

Verschwenderisch.

Er spielte sehr viel Rückhand-Slice. Aus der Defensive chippte er immer mal wieder die Vorhand mit Schnitt auf die T-Linie.

Was ich im gesamten Verlauf des Matches nicht zwischen meine beiden Ohren bekam:

Mir unterliefen unglaublich viele Fehler auf diese kurz gespielten Slice-Bälle. Mit Fehler meine ich nicht direkt Fehler ins Netz oder ins Aus. Ich spreche von taktischen Fehlern.

Dazu gehörte:

  • Schnell und gerade mit der Vorhand spielen wollen
  • Lang und platziert spielen wollen
  • Im Halbfeld stehenbleiben

Durch diese taktischen Fehler eröffnete sich für Helmut eine komfortable Situation im Ballwechsel. Er konnte mich rechts-links schicken, ein Stöppchen einstreuen oder mir einen langen Slice (mal wieder) in die Rückhand geben.

Mentale Übung: Nimm eine aggressive Einstellung ein, wenn dein Gegner viel Slice spielt. Das bedeutet nicht, dass du schreiend auf den Ball zulaufen sollst. Eine aggressive mentale Haltung dem langsamen Slice-Ball gegenüber zeigt: Du bist heiß auf den Ball. Du unterschätzt den Ball nicht. Du weißt, dass du an die Kugel ran musst. Zack, zack. Ein Gedankenablauf kann sein: "Ok, da ist der kurze Slice. Früh ausholen, kleine Schritte zum Ball und ran an die Filzkugel!". Trödel nicht rum und denke, dass du dich langsam zu Ball bewegen kannst, weil der Ball langsam in der Luft unterwegs ist. 

Helmut verstand es mir Aufgaben zu geben, die ich nicht lösen konnte. Dafür musste er mich nicht mit knallharten Schlägen vom Platz schießen.

Was uns direkt zur zweiten Lehre führt.

2) Wer den Ball setzen kann, der ist klar im Vorteil

Es sieht schön aus.

Der knallhart gespielte Vorhand-Winner, zwei Zentimeter über das Netz gespielt. Oder die brachiale Rückhand-Longline.

Doch sind wir Clubspieler nicht Dominic Thiem oder Stan Wawrinka. Uns unterlaufen dabei mehr Fehler als Winner. Und ich habe von Helmut gelernt, dass es klüger ist den Ball platzierter zu setzen, als einen spektakulären Winner für die fünf anwesenden Zuschauer zu spielen.

Helmut schaffte das, was viele Spieler nicht schaffen:

Er ließ sein Ego Zuhause auf der Couch.

Wie ein Uhrwerk platzierte er seine Schläge:

  • Aufschlag lang auf meine Rückhand
  • Stopp gegen meine Laufrichtung
  • Rechts, links, rechts - Stopp

Allein beim Schreiben wird mir schwindelig. 

Ähnlich wie damals auf dem Court. Damit war aber nicht genug. Durch das kluge Setzen seiner Schläge gab er mir in vielen Phasen unseres Matches nicht die Chance meine Stärken einzusetzen. Meine Rückhand-Longline (mein Paradeschlag) fand an diesem Tag, wie die Bundesliga im Jahr 2020, teilweise nicht statt.

Ich war damit beschäftigt die Bälle von Helmut zu erlaufen. 

Er agierte, ich reagierte.

3) Spielintelligenz schlägt Zerstörungswut

Der bessere Spieler gewinnt beim Tennis nicht immer.

Du kannst jeden einzelnen Schlag besser als dein Gegner spielen. Das bedeutet nicht, dass du auch den Court als lächelnder Sieger verlässt, der anschließend die Gratulationen der Vereinsmitglieder entgegennehmen darf.

Warum ist das so?

Weil es nicht darum geht, die Tasche mit den gefährlichsten Waffen mitzubringen. Die gefährlichen Waffen allein reichen nicht. Es geht darum die Tasche mit den richtigen Waffen mitzubringen, um diese gefährlich einzusetzen.

Das ist der entscheidende Unterschied.

Schau:

Ich war 53 Jahre jünger, schneller, fitter und konnte Vor- sowie Rückhand viel härter schlagen als Helmut. Ich war in der Lage viel mehr Bälle zu erlaufen.

Auch mein Aufschlag war, trotz dünner Ärmchen, ganz gut.

Ich hatte die Tasche mit den gefährlichen Waffen mit dabei, konnte aber keine dieser Waffen einsetzen. Ein mentales Training hätte vermutlich auch nicht geholfen.

Helmut hingegen hatte seinen Slice und sein Auge für Spielsituationen. Diese zwei waren die richtigen Waffen, die er dann gefährlich auf dem Court einsetzen konnte.

Kleine Anekdote: Bei uns im Verein spielte früher Dragan. Dragan spielte an Position eins in unserer ersten Herrenmannschaft in der Verbandsliga. Dragan sah nicht aus wie ein Sportler. Er sah aus wie ein Rentner, der gerade vom Frühschoppen aus der Kneipe kam. Bierbauch, dicke Beine, ungewollt tiefer Körperschwerpunkt. Er gewann dennoch fast jedes Einzel, obwohl seine Gegner athletischer und spielerisch besser waren. Wie schaffte es Dragan trotzdem meist als Sieger den Platz zu verlassen? Er spielte Rückhand-Slice, Vorhand gerade, beides zwei Millimeter über das Netz und schickte jeden Gegner rechts-links. Dank seiner Erfahrung und Antizipation sah er, wo der Gegner hinspielen würde. Er musste sich nicht viel bewegen. Er spielte wie ein Roboter sein Spiel herunter. Seine Konkurrenz war machtlos gegen seine eigenwillige Spielweise. 

4) Die Schwäche im Spiel des Gegners ist mindestens so entscheidend wie die eigene große Stärke

Wenn du brachiale Grundschläge wie Dominic Thiem besitzt, dann kannst du deinen Matchplan simpel halten. Du kannst alles daran setzen deine Stärken auf den Court zu bringen.

Dies erklärte mir sein Vater Wolfgang in diesem Artikel hier.

Ich gehe davon aus, dass du nicht Dominic Thiem bist. Deswegen solltest du zwei Elemente innerhalb der ersten drei Aufschlagspiele herausfinden:

  1. Welche eindeutige Schwachstelle hat dein Gegner? (Beispiel: Rückhand)
  2. Welche deiner Stärken kannst du nutzen, um diese Schwachstelle konstant anzuspielen? (Beispiel: Deine Vorhand-Topspin)

Ich erlebe in Mentalcoaching-Gesprächen immer wieder, dass viele Spieler während eines Matches enorm mit sich selbst beschäftigt sind.

Und das ist vollkommen normal.

Neben dem Blick auf das eigene Spiel, die Selbstzweifel und die zahlreichen Dämonen im eigenen Kopf sollte ein Resttropfen Aufmerksamkeit aber auch dem Gegner gewidmet werden.

Leicht verständlich & anwendbar:

Vergisst du unter Druck alle Basics, die im Training ohne Nachdenken funktionieren? Probiere meinen Mentalreport mit konkreten Übungen aus:

Zu den Übungen

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Denn, und das habe ich immer wieder erlebt:

Ein Weg, um einen der eigenen Dämonen zu töten, liegt oft auf der Seite des Gegners.

Schwächen des Gegners können dir ein besseres Gefühl geben. Du stellst ihn dann nicht zu sehr auf ein Podest. Du bekommst mehr Ideen für deine Taktik im Einzel.

Daher war meine Lehre aus meinem Match gegen Helmut:

Spiele nicht nur stur dein eigenes Spiel, sonders bediene die Schwächen des Gegners mit deinen eigenen Stärken.

5) Ein Slice-Aufschlag ist effektiver als ein hart durch die Mitte gespielter Aufschlag

Kennst du das?

Du servierst den ersten Aufschlag knallhart. Dein zweites Service schubst du dann zärtlich fünf Zentimeter hinter das Netz.

Wenn dein Erster kommt, dann ist das toll. Es ist ein gutes Gefühl. Dennoch hat dein Gegner ab Mitte des ersten Satzes kaum noch Probleme dein Geschoss zu returnieren.

Ich lernte von Helmut, dass ein Slice-Aufschlag zahlreiche Vorteile mit sich bringt:

  • Höhere Quote beim ersten Aufschlag
  • Mehr Variationsmöglichkeiten
  • Der Gegner kann sich nur schwer auf den Aufschlag einstellen
  • Mehr Optionen beim zweiten Aufschlag
  • Höheres Selbstvertrauen dank besserer Quote

Und, was ich ehrlich gestehen muss:

Mir fiel es schwer den geschickt gesetzten Slice-Aufschlag von Helmut zu returnieren. Mal setzte er ihn lang auf meine Rückhand, dann mal kurz nach außen, wenn er auf der Einstand-Seite servierte.

In engen Situationen spielte er seinen Slice mittig, so drehte sich die Kugel direkt auf meinen Körper. Ich musste mich beim Return dann seitlich bewegen, was mir nicht leicht fiel.

Obwohl ich härter servieren konnte, brachte ich nicht ansatzweise so viele Service-Games wie Helmut durch.

Das aufbauende Fazit

Höre nie auf, von anderen Spielern zu lernen.

Was? 

Du bist in deinem Denken so festgefahren, dass du meinst nur von Profis was lernen zu können?

Ab an die Ballwand mit dir.

Du kannst von jedem Spieler etwas lernen. Selbst von denen, die schwächer spielen, kannst du lernen, wie es nicht geht.

Du kannst die taktischen Fehler von unerfahrenen Spielern analysieren und dir merken, was du im Match vermeiden solltest.

Von erfahrenen Haudegen aus deinem Verein wirst du einiges an Spielintelligenz lernen können. Schau dir mal ein Seniorendoppel an. Du wirst viele Finten, Gemeinheiten und Spielzüge sehen, die du für dein eigenes Spiel adaptieren kannst.

Du kannst von Mondballspielern die hohe Kunst der Disziplin im Ballwechsel lernen. 

Ich beende diesen Artikel mit einem Zitat des grandiosen Psychologen Carl Gustav Jung:

"Alles was uns an anderen missfällt, kann uns zu besserer Selbsterkenntnis führen".
Marco Kühn
Marco Kühn
Marco ist an der Grundlinie groß geworden und ehemaliger Jugendranglistenspieler. Heute hilft er mit seinem Blog Clubspielern besser Tennis zu spielen. Er schrieb bereits für tennisnet.com, tennisMAGAZIN, Tennis-Point und den Focus.

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