Als die T-Linie in Wimbledon noch abgelaufener als die Grundlinie war, machten sich Spieler wie Stefan Edberg oder Patrick Rafter immer wieder auf den Weg ans Netz.
Ihr Stil:
Chip n Charge.
Klar, beide waren vor allem für ihr Serve and Volley- Spiel berühmt und gefürchtet. Doch die beiden Angriffsspieler konnten nicht jeden Ballwechsel mit dem eigenen Aufschlag beginnen. Sie brauchten Strategien, um auch aus dem laufenden Ballwechsel heraus ans Netz vorrücken zu können.
Da diese Spielertypen sich am Netz so wohl fühlten wie du heutzutage an der Grundlinie, wollten sie selbstverständlich auch direkt nach dem Return vor ans Netz.
Pete Sampras spielte die Chip n Charge- Variante beim Return in Perfektion.
Der Amerikaner konnte mit dieser Taktik im Einzel seinen vielleicht nicht ganz so druckvollen Return in eine echte Waffe verwandeln.
Wir werden in diesem Artikel später noch herausfinden, wie diese Strategie auch für dich möglich ist.
Wir dröseln die beiden Begriffe jetzt mal kurz auf.
Chip bedeutet, dass der Ball nur "ins Feld gelegt" wird. Du chippst die Filzkugel, du schlägst sie nicht. Dieser Chip ist im Tennis der Slice. Du streichelst bei dieser Schlagvariation den Ball. Bei deiner Vorhand oder auch bei deinem Aufschlag drischt du von hinten vor den Ball. Beim Rückhand-Slice gehst du mit deiner Schlägerfläche unter den Ball und gibst diesem dadurch den bekannten Schnitt, auch gern Effet genannt, mit.
Charge wird auf dict.cc mit "angreifen" übersetzt. Es wird auch "stürmen" genannt. Da du beim Chip n Charge aber nicht gedankenlos ans Netz stürmen sollst, benutzen wir in unseren Falle lieber den Begriff angreifen. Er passt wesentlich besser zu dieser Spielidee.
Da wir die beiden Begrifflichkeiten nun geklärt haben, können wir die Spielvariation auch schon in Worte fassen. Du spielst einen Slice und folgst diesem anschließend ans Netz. Das ist Chip n Charge.
Rund 99% deiner Gegner spielen von der Grundlinie. Du wirst dich in fast jedem Ballwechsel in einem spannenden Grundlinienduell befinden. Auch deinen Return wirst du im Match fast immer gleich spielen. Beim ersten Aufschlag deines Gegners stehst du noch etwas weiter hinter der Grundlinie. Beim zweiten Aufschlag rückst du dann ein paar Schritte vor.
Du bist dann vielleicht gewillt diesen zweiten Aufschlag zu attackieren.
Dein Return auf den ersten Aufschlag deines Gegners willst du meist ins Spiel bringen, um im Laufe des Ballwechsels deine Chancen auf den Punktgewinn zu suchen.
Du hast beim lesen des letzten Absatzes vermutlich bemerkt, dass der Rhythmus in den Ballwechsel oft sehr ähnlich ist. Wenn du dich mit einem Teamkollegen verabredest und ihr eine halbe Stunde einfach nur lange Bälle spielt, dann wirst du merken wie gut du in den Schlagrhythmus kommst.
Dann spielst du sicherer, länger und eventuell sogar druckvoller.
Lesetipp: Die schnellsten 3 Wege zu einer perfekten Vorhand
Aber möchtest du, dass auch deine Gegner im Match sicher, druckvoll und lang spielen? Sollen deine Kontrahenten einen tollen Rhythmus für ihre Grundschläge haben? Nein. Das willst du selbstverständlich nicht. Du willst einen umkämpften Sieg mit nach Hause bringen und Erfolge erringen. Diese Erfolge werden größere, wenn du deine Spielvariationen erweiterst.
Chip n Charge ist eine wunderbare Spielvariation, um den Rhythmus deiner Gegner im Match zu brechen.
Ja klar.
Chip n Charge ist eine unheimlich wirkungsvolle Strategie, um vom Return weg direkt ans Netz zu gehen und das gegnerische Doppel sofort unter Zugzwang zu setzen.
Schau dir die Profi-Doppel an.
Du wirst sehen, wie oft der Returnspieler teilweise mit einem Vorhand-Slice ans Netz läuft. Das hat nichs damit zu tun, dass er die Vorhand nicht anders spielen kann. Er will den Ball möglichst lange in der Luft halten, damit er mehr Zeit hat klug ans Netz zu laufen und sich dort zu positionieren.
Chip n Charge ist eine Variation, die du unbedingt mit deinem Partner üben solltest, wenn du oft und gerne Doppel spielst.
Ich möchte dir in diesem Artikel gar nicht zu viele technische Tipps mitgeben. Wenn du meine E-Mails liest weißt du, dass ich dem Thema Technik etwas distanziert gegenüber stehe. Du sollst natürlich an deiner Technik feilen und mit deinem Trainer deine Schläge verbessern. Doch bin ich der Meinung, dass Technik stets sehr individuell zu betrachten ist. Solltest du bereits länger als vier Jahre Tennis spielen, dann hast du deine Bewegungsabläufe und Griffhaltungen schon fest abgespeichert.
Tiefgreifende Veränderungen können dich dann verwirren.
Hinzu kommt, dass deine Technik im Match selten über deinen Sieg oder deine Niederlage entscheidet. Taktik, Köpfchen und Mut sind meist die wichtigeren Faktoren, um ein Tennismatch zu gewinnen und erfolgreich zu sein.
Damit du Chip n Charge effektiv einsetzen kannst, solltest du beim Chip, also dem Slice, aber auf folgende Grundlagen achten:
Dein Vorteil ist, dass der Slice langsamer gespielt wird und somit länger in der Luft ist, bevor dein Gegner den Ball schlagen wird. Dir bleibt also mehr Zeit, um geschickt ans Netz vorzurücken.
Eine sehr schnell gespielte Vorhand würde dir weniger Zeit für deinen Netzangriff bieten, da dein Angriffsball dann auch schneller zurückkommen würde. Das ist einer der Hauptgründe, warum Stefan Edberg und Patrick Rafter früher besonders auf Rasen diese Variante eingesetzt haben. Der Slice bleibt lang in der Luft und wird am dem Absprung auf der generischen Seite aufgrund des Schnitts schnell und flach.
Perfekt, um einen Angriff ans Netz vorzubereiten.
Wie könnte ein solcher Spielzug auf dem Platz aussehen? Damit du dir ein Bild in deinem Kopf abspeichern kannst, nutze die folgende Grafik mitsamt Skizzen:
Wir halten fest:
Hervorragend. Du hast die Grundlagen des Chip n Charge verstanden und weißt jetzt, wann du den Slice einsetzen kannst und wie du diesem ans Netz folgen solltest. Wir machen uns jetzt auf den Weg ans Netz und spielen den Volley.
Auf geht`s!
Wir hatten vorhin besprochen, dass "Charge" für das Angreifen steht. Dieser Angriff ist beim Chip n Charge nicht nur spielerischer, sondern auch mentaler Natur. Du setzt deinen Kontrahenten im Kopf unter Druck. Mit deinem Angriff stellst du ihm die Frage: "Bist du in der Lage einen tollen Passierball oder Lob zu spielen?".
Lesetipp: 5 mentale Übungen, die dein Tennis verbessern
Dein Weg ans Netz sollte, wie bei jedem guten Angriff, mit einem Plan erfolgen. Ein kopf- sowie gedankenloses nach vorne Hetzen bringt dir nichts - außer Volley-Frust. Du läufst dann durch den Volley, triffst diesen nicht richtig, kannst den Ball kaum auf deiner Schlägerfläche kontrollieren und wirst die Kugel weit ins Aus spielen.
Damit du einen Plan für deinen Angriff hast, setze dir zwei Ziele:
Mehr Ziele würde ich dir nicht empfehlen. Es würde zu kompliziert werden . Chip n Charge ist eine Variation, die auch dich aus deiner Komfortzone an der Grundlinie herauszieht. Es ist deswegen ratsam, dass du nur wenige Ziele im Kopf hast, damit du auf diese beiden deine Konzentration ausrichten kannst.
Konzentriere dich beim Tennis lieber auf wenige Dinge, aber dafür mit einer enorm hohen Intensität. Ein zerstreuter Professor spielt meist nur zwei von zehn Aufschlagspiele gutes Tennis ;-)
Spiele deinen ersten Volley möglichst kurz und mit wenig Risiko. Bedenke, dass du allein durch dein nach vorne Laufen die Winkel für deinen Gegner verkleinerst. Du musst kein Volley-Gott sein, um Chip n Charge spielen zu können. Auch dein eventuell zweiter Volley, näher am Netz gespielt, muss nicht in die hinterste Ecke gespielt werden. Konzentriere dich lieber darauf deinen Volley kurz und möglichst cross zu spielen. Diese Variation zieht die Winkel für deinen Gegner noch weiter zu und gibt dir die Möglichkeit allein durch dieses "Winkelspiel" mehr Punkte für dich zu entscheiden.
Lass uns doch eben kurz schauen, wie du bei deinen Netzangriffen den ersten wichtigen Raum auf Höhe der T-Linie "besetzen" kannst. Wir gehen in unserem Beispiel davon aus, wie schon ein Stückchen weiter oben in der Grafik, dass du mit einem Rückhand-Slice cross angreifst, um deinem Gegner eine schwierige Rückhand spielen zu lassen.
Schau dir die Grafik an:
Klasse. Du hast jetzt die Strategie hinter Chip n Charge kennengelernt und weißt, wie du diese Variation taktisch auf den Court zaubern kannst. Wir werden uns jetzt noch kurz überlegen, wann denn diese Variation am meisten Sinn für dich macht.
Come on! ;-)
Wir starten das taktische Geplänkel mit einem Schwung Spielverständnis.
Der Slice lässt sich leichter auf einen langsamen Ball deines Gegners spielen. Solltest du eine brachial schnell gespielten Ball für deinen Slice nutzen wollen, so kann dir schneller die Kontrolle verloren gehen.
Ich würde dir, zumindest aus meiner persönlichen Erfahrung heraus, die halbhohen Bälle deiner Gegner empfehlen, um mit einem Slice anzugreifen. Dies kann selbstverständlich von Spieler zu Spieler verschieden sein. Wenn es dir leichter fallen sollte auf schnelle Bälle einen Slice zu spielen, dann setze dies bitte auch so um. Nichts, was ich hier auf diesem Blog schreibe, ist in den Sandplatz gemeißelt. Tennis bedeutet immer, dass du die individuell für dich besten Lösungen finden musst.
Ein Beispiel wäre dein Return auf den zweiten Aufschlag. Dieser wird meist nicht so schnell gespielt. Du kannst dann, wie Pete Sampras in seiner besten Zeit, Chip n Charge spielen und deinen Kontrahenten direkt unter Druck setzen - vom ersten Schlag an.
Kommen wir nun zu einem kleinen Ausschnitt mentaler Kriegsführung auf den Tennisplätzen dieser Welt. Denn auch die Stimmung deines Gegners kann dir verraten, ob es ein guter Zeitpunkt ist Chip n Charge einzustreuen.
Sollte der Fall gegeben sein, dass dein Gegner nervlich sichtlich angespannt und eventuell verunsichert ist, dann ist Chip n Charge eine hervorragende Option, um den mentalen Druck noch weiter zu erhöhen. Du wirst aus deiner eigenen Erfahrung wissen: Ein Longline-Passierball spielt mit mit lauter Selbstzweifeln im Kopf noch schwieriger.
Dazu ist natürlich ein bisschen Empathie deinerseits notwendig. Wenn du dich ein wenig in die Gefühlslage deines Gegenüber reinfuchsen kannst, dann wirst du schnell die richtigen taktischen Mittel im Kopf haben. Du hast in diesem Artikel gelernt, dass Netzangriffe deinen Gegner vor eine schwierige Aufgabe stellen. Spielerisch, aber vor allem auch im Kopf.
Bei akuter nervlicher Belastung wird deinem Gegner dein Angriffstennis ganz sicher nicht in den taktischen Kram passen ;-)
Hast du Chip n Charge schon genutzt, um deine Gegner unter Druck zu setzen? Falls nicht, dann hast du jetzt das Rüstzeug um dein Tennis taktisch weiterzubringen.
8 Kommentare
VG Lutz
Vielen Dank für diesen tollen Artikel! Ein extrem wichtiger Spielzug! Liebe Grüße, Thomas
danke dir für deinen Kommentar. Ich finde den Spielzug auch sehr wichtig.
LG
Marco
Marco
danke dir vielmals für dein Feedback! Du konntest hoffentlich ein paar Dinge erfolgreich für dich umsetzen.
Viele Grüße,
Marco
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