Rafael Nadal und Novak Djokovic würden diesen Artikel mit einem müden Lächeln lesen.
Die gleich folgenden Ballwechsel-Statistiken sind verblüffend.
Wir werden auch besprechen, wie aussagekräftig Zahlen wirklich sind. Wie sieht die Geschichte aus, wenn du gegen einen Mondball-Zombie spielst?
Oder Novak Djokovic gegen Andy Murray? Früher, zu ihren besten Zeiten?
Bevor wir uns auf Zahlen und Fakten stürzen, müssen wir zum Einstieg eine Frage beantworten:
Nicht ganz unwichtig, oder?
Ich kenne Leute, die zählen erst ab dem Return.
Aber:
Jeder Ballwechsel startet mit dem Aufschlag und dem Return des Gegners. Dabei wird der Aufschlag als erster Schlag des Ballwechsels gerechnet. Der Return des Gegenspielers als der zweite Schlag. Jeder dann folgende Schlag ist ein weiterer Schlag innerhalb des Ballwechsels.
Ein Ass ist ein Ballwechsel mit einem Schlag.
Ein Returnwinner ist ein Ballwechsel mit zwei Schlägen.
Du verstehst, wie die ganze Geschichte gezählt wird?!
Rally-Längen von 0 bis 4 Schlägen sind im Durchschnitt am häufigsten. Sie kommen in 70 % der Ballwechsel vor (sowohl bei Männern als auch bei Frauen). Ballwechsel-Längen zwischen 5 und 8 Schlägen kommen etwa 20 % der Zeit vor und die Verbleibenden neun und mehr Rallye-Längen kommen etwa 10 % der Zeit vor.
Bedeutet für Nicht-Mathemathiker wie mich:
1 1/2 Sätze spielst du kurze, knackige Ballwechsel. Der Rest wird aufgestockt mit einigen längeren Ballwechseln. Ab und an, wenn beide Spieler die Buchsen voll haben, werden längere Ballwechsel gespielt.
Es gibt noch eine Ausnahme.
Abseits der Profitour und in einem LK-Bereich zwischen 13 und 20, kann eine Sonderregelung eintreten.
Und zwar dann, wenn zwei Mondball-Zombies zur gleichen Zeit den Weg auf den Court gefunden haben. Ich habe Matches erlebt, bei denen der durchschnittliche Ballwechsel 8-15 Schläge ging 😎. Nach manchem Ballwechsel war der Zuschauer verwundert, dass kein Schnee auf der Murmel war.
Mondballspieler vermeiden von ihrer Natur her den schnellen, flachen Ball. Dadurch unterlaufen ihnen viel weniger Fehler ins Netz. Dazu spielen sie gerne sehr kontrolliert, was nicht verkehrt ist. Treffen zwei solcher Spielertypen aufeinander, werden die Ballwechsel natürlich länger.
Das muss allerdings nicht der Fall sein, wenn ein Mondballspieler auf einen Hardhitter trifft.
Ein Spieler, der den Ball sehr hart, sehr flach über das Netz spielt. Ohne Spin, ohne Schnörkel. Der Spielertyp Hardhitter möchte lange Ballwechsel vermeiden. Er will dominant spielen, den Gegner zum reagieren zwingen.
Hier eine interessante Grafik dazu:
Grafik von researchgate.net
Die Grafik zeigt, dass bei Damen und Herren durchschnittlich ca. 22 % der Ballwechsel im Match 2-3 Schläge dauern. Ganz rechts auf der Grafik siehst du die Mondball-Zombies ☠. Nach vier Schlägen nimmt die Quote deutlich ab.
Das führt uns zur folgenden Frage:
Zwei Schläge sind entscheidend. Auf ihnen baut dein Spiel auf. Sie sind die Bodenplatte deines Tennis-Hauses.
Das sind:
1) Dein Aufschlag
2) Dein Return
"Kühn, dein ernst?" - denkst du jetzt.
Ich weiß, ich weiß ...
Damit erzähle ich dir nichts Neues. Aber hast du wirklich mal darüber nachgedacht, wie wichtig der Schlag nach dem Aufschlag und Return ist?
Dieser Schlag wird oft unterschätzt.
Ein Novak Djokovic zum Beispiel hat eine unglaublich gute Quote an gewonnenen Aufschlagspielen. Bei den Big-Points ist er der König. Er ist schwer zu breaken. Egal, gegen welchen Spielertypen er spielt.
Ist er das, weil er wie ein Ungeheuer serviert?
Keinesfalls.
Der Djoker spielt nach seinem Aufschlag famos weiter. Er positioniert sich clever. Er dosiert seine Schläge richtig. Er platziert Vor- und Rückhand so, dass der Gegner laufen muss.
Das ist der Grund für seine starken Aufschlag-Statistiken.
Es ist nicht sein Aufschlag, der seinen Aufschlag stark macht. Es sind die ein, zwei Schläge nach seinem Aufschlag.
Ich habe eine Statistik aus dem Jahre 2019 gefunden.
In dieser geht es um nicht returnierte Aufschläge. In dieser Liste ist der Djoker "nur" auf Rang sechs gelistet. Hinter Roger Federer, Felix Auger-Aliassime, John Isner und - Achtung - Cristian Garin.
Hier ein Blick auf die Statistik:
Quelle: medium.com
Verblüffend, oder?
Der Djoker macht gar nicht so viele freie Punkte mit seinem Aufschlag. Ich will jetzt auch nicht sagen, dass er die Kugel nur einwirft. Das stimmt nicht. Er serviert mit viel Variation. Der Gegner kann sich nur schwer auf seinen nächsten Aufschlag einstellen.
Er platziert seine Aufschläge, wie auch die Grundschläge, mit Köpfchen.
Du kannst dir wichtige Fragen für dein Spiel stellen:
1) Wie will ich nach meinem Aufschlag weiter spielen? Wohin will ich den Ball wie spielen?
2) Wo will ich mich nach meinem Aufschlag und Return positionieren? Will ich aggressiv an der Grundlinie stehen? Oder lieber abwartend ein bis drei Schritte hinter der Grundlinie?
Lass uns kurz zusammenfassen, was wir bisher wissen.
70 % der Ballwechsel gehen laut Statistiken nicht länger als vier Schläge. Die meisten dieser kurzen Ballwechsel sind 2-3 Schläge lang.
Das wären:
1) Aufschlag
2) Return
3) Vorhand, Rückhand, Volley, Überkopfball etc.
Diese Statistiken würde ich als grobes Schema bezeichnen. Klar, die Statistiken zu den Ballwechseln in unserem oft gliebten, oft gehassten Tennissport sind wichtig. Jeder von uns weiß, dass die ersten vier Schläge wichtig sind. Der Aufschlag und der Return sind die beiden wichtigsten und vor allem auch entscheidendsten Schläge.
Du merkst schon, es kommt ein Aber.
Wir müssen Fragen stellen.
Dazu gibt es keine offiziellen Statistiken.
Sorry für die Enttäuschung.
Da es keine Daten gibt, müssen wir darüber sprechen.
Und:
Mal unter uns.
Wie oft sitzt dein erster Aufschlag?
Eben ...
Bei den Profis, aber auch bei uns Clubspielern, ist die Dynamik nach einem zweiten Aufschlag eine ganz andere. Der Ballwechsel verläuft anders, wenn ein Spieler über den zweiten Aufschlag gehen muss. Hinzu kommt die Qualität des ersten und zweiten Aufschlages. Nicht jeder Spieler serviert wie Milos Raonic.
In den letzten Jahren habe ich eine interessante Beobachtung gemacht.
Die Kanonen-Aufschläger gibt es in dieser Form nicht mehr. Alle starken Spieler servieren gut, spielen aber auch gut nach ihrem Aufschlag weiter. Darüber haben wir ein Stückchen weiter oben bereits in der "Causa Djokovic" gesprochen.
Die Spieler zeichnet ein starkes Grundlinienspiel mehr aus, als ein 240 km/ Aufschlag. Diese enorm harten Aufschläger werden von den Young-Guns weg-returniert. Sinner, Alcaraz, Rune und der junge Tscheche Jakub Mensik sind herausragende Returnspieler.
Auf unserem Clubspieler-Niveau gilt ein ähnliches Prinzip.
Du wirst mit deinem ersten Aufschlag nur selten alles in Grund und Boden dominieren. Du lebst nicht von einfachen Punkten dank deines ersten Aufschlages. Du kannst in manchen Ballwechseln einen guten ersten Aufschlag als eine Basis für das Aufbauen des Punkts nehmen.
Aber mehr, ehrlich gesagt, auch nicht.
Es lohnt sich daher nicht, einfach nur noch Aufschlag und Return zu trainieren. Die weiteren Schläge, Schlagentscheidungen und taktischen Spielzüge sind mindestens ebenso wichtig.
Was ein ziemlich cooles Beispiel aus der Vergangenheit zeigt.
Der Djoker und Sir Andy Murray haben das Grundlinienspiel auf ein neues Niveau gehoben.
Rafa gehörte natürlich auch dazu.
Im Jahr 2017 spielten die beiden Grundlinien-Experten Murray und Djokovic in Doha ein Finale gegeneinander. Es soll uns jetzt nicht um das Ergebnis gehen.
Sondern um die Ballwechsel-Statistiken aus diesem Match.
Hier sind sie:
38 % der Punkte waren in dem Bereich von 0-3 Schlägen.
So, wie wir es bis dato auch gelernt haben.
Aber:
26 % der Ballwechsel gingen zehn Schläge und mehr. Und das ist eine Hausnummer.
Der Grund dafür waren die beiden Spielertypen. Beide Spieler waren keine Kanonen-Aufschläger. Beide Spieler waren sehr gute Returnspieler. Beide Spieler waren in diesem Match sehr starke Grundlinienspieler.
Ich bin ein Freund dieser Statistiken. Aber immer mit den richtigen Fragen zu diesen Statistiken.
Eine Ballwechsel-Statistik, die nicht die Spielertypen des Matches beachtet, kann nicht aussagekräftig sein.
Mal angenommen, du spielst mit deiner starken Vorhand, deiner soliden Rückhand und der manchmal etwas holprigen Beinarbeit gegen einen Serve-and-Volley-Spieler.
Kannst du davon ausgehen, dass 26 % der Ballwechsel länger als zehn Schläge gehen? Wohl kaum.
Spielst du gegen einen Mondballspieler, der selbst von dir zu kurze Bälle ins T-Feld hoch und langsam zurückspielt, wirst du viel längere Ballwechsel spielen.
Wir halten fest:
Jede Statistik ist interessant. Noch interessanter sind die Spielertypen, die für diese Statistik gesorgt haben.
Aber, eine kurze Zwischenfrage:
Trotz einiger kleiner Unterschiede in der Spielweise zwischen Männlein und Weiblein, wie z. B. das Verhältnis von Arbeit und Ruhe (Männer 1:3,63±0,38; Frauen 1:4,05±0,73), die Punktdauer (Männer 5,93±0,67 s; Frauen 5,44±1,11 s) und die Anzahl der Ballwechsel (Männer 4,85±0,48; Frauen 4,47±0,72), wurden in einer Studie von researchgate.net keine Unterschiede in der Ballwechsel-Länge gefunden.
So, nimm dir einen Schluck Kaffee oder Tee.
Wir kommen jetzt zu der vielleicht interessantesten Ballwechsel-Statistik. Ich kann dich beruhigen. Sie ist nicht sehr zahlenlastig und einfach zu verstehen.
Ich zeige dir zunächst die Grafik. Dann sprechen wir darüber.
Hier ist sie:
Quelle: atptour.com
Links finden wir die Siegchance in Prozent.
Fängt mit 50 % an, weil es beim Tennis kein Unentschieden gibt.
Rechts finden wir eine interessante Prozentzahl. Diese zeigt an, wie oft ein Spieler die Chance hat im Ballwechsel zu attackieren. Das kann ein zu kurzer Ball des Gegners sein. Das kann ein sehr aggressives Grundlinienspiel eines Spielers sein.
Das kann aber auch ein herausragender erster Aufschlag sein, der bei vielen Punkten bei eigenem Aufschlag die Chance zur Attacke eröffnet.
Die Grafik zeigt:
Je höher die Prozentzahl der Chance in den Attacke-Modus zu schalten, desto höher die Siegchance im Match.
Kurz gesagt:
Wer aggressiver spielen kann, der wird mit größerer Wahrscheinlichkeit den Curt als Sieger abziehen.
Die Betonung liegt hier aber auf dem kleinen Wörtchen kann. Denn die Daten sagen nicht aus, dass du wie ein Berserker bei jedem Schlag auf den Punkt gehen sollst. Viel mehr bedeuten die Daten, dass der Spieler, der mehr Attacke-Chancen kreieren kann, schlussendlich auch öfters gewinnt.
Stelle dir gerne dazu folgende Fragen:
Viele Clubspieler überlegen stattdessen, wie sie möglichst schnell den Punkt beenden können. Das ist löblich. Aber es fehlt eine Zwischenstation auf dem Weg zu diesem Beenden. Diese Zwischenstation ist das Kreieren von Chancen, in den Attacke-Modus schalten zu können.
Jannik Sinner ist hier ein sehr schönes Beispiel.
In diesem Artikel schrieb ich darüber, was er sich von Novak Djokovic für sein Spiel abgeschaut hat.
Es ist das kontrollierte Spiel durch die Mitte. Diese Spielweise, lang und mit wenig Fehlern im Verlauf eines Ballwechsels durch die Mitte zu spielen, zwingt den Gegner zu Handlungen. Dieser muss etwas tun. Nicht selten überpowert er dann und macht den Fehler. Oder er wird im Laufe des Ballwechsels zu kurz.
Und genau dann kann Sinner zupacken.
Er besitzt unheimlich harte Grundschläge. Er kann problemlos in den Attacke-Modus schalten, wenn er die Chance bekommt. Sinner hat es in den letzten Monaten geschafft, mehr dieser Attacke-Chancen zu kreiren.
Wie?
Tja, indem er kontrollierter und - Achtung - langsamer spielte.
Das führt uns zur folgenden Überlegung:
Du erhähst deine SIegchancen, indem du deine Attacke-Chancen erhöhst. Dafür musst du Situationen im Ballwechsel kreieren, die dir die Chance zur Attacke geben. Musst du aber deswegen ultra-aggressiv spielen?
Jannik Sinner verrät es uns.
Nein, lieber Tennisfreund, das musst du keinesfalls. Das Gegenteil ist der Fall. Du kannst mehr Attacke-Chancen kreieren, indem du langsamer und kontrollierter spielst. Ich habe auf meinem Blog, in meinen Onlinekursen und in meiner E-Mail-Community oft darüber geschrieben:
Es ist immer einfacher einen schnellen Ball des Gegners noch schneller zu machen, als einen langsamen Ball des Gegners zu beschleunigen.
Das ist ein grundlegendes Tennis-Gesetz, auf dem du deine komplette Taktik aufbauen kannst.
Dieses Gesetz gibt dir auch die Chancen deine Attacke-Quote zu erhöhen. Ohne mehr Risiko gehen zu müssen. Ohne dabei zu viele unerzwungene Fehler zu machen.
Ballwechsel-Statistiken sind nicht nur interessant.
Sie können auch das Spiel eines jeden Spieler beeinflussen und verbessern. Wir müssen aber genauer hinschauen. Es lohnt sich, bei Ballwechsel-Statistiken in die Tiefe und nicht nur in die Breite zu gehen.
Dazu gehört die wichtige Frage:
Welche Spielertypen spielen da überhaupt gegeneinander? Und wie lassen sich die allgemeinen Statistik-Schemata auf dieses beiden Spielertypen anwenden?
Wir haben aus unseren Statistiken gelernt:
Halte den Ball im Spiel und packe zu, wenn du die Chance bekommst.
2 Kommentare
Nachdem Sie sich viel mit Wahrscheinlichkeiten im Tennis beschäftigen, eine Frage, die bei uns im Team gestern aufkam: Gibt Punkte im Tennis, die mathematisch wichtiger sind als andere?
Angenommen jemand gewinnt einen Punkt im eigenen Aufschlag-Spiel in 2 von 3 Fällen, wie viel Ergebnisbeitrag (Erhöhung der Wahrscheinlichkeit das Spiel zu gewinnen) liefert der Punkt zum 15:0 oder der Punkt zum 40:30. Bei uns meinten einige der Punkt zum 40:30 (vom 30:30 aus) ist am wichtigsten, manche meinten, dass der Punkt zum 40:40 (von 30:40 aus) der wichtigste ist.
danke für dein Feedback.
Ich würde eher sagen, es gibt Phasen, die wichtig sind. Nicht unbedingt einzelne Punkte. Klar, es gibt die Crunchtime-Punkte. Aber die entwickeln sich dynamisch in einem Match.
Phasen hingegen, die wichtig sind, können einkalkuliert werden. Da wäre zum Beispiel immer der Beginn eines zweiten Satzes. Der zweite Satz stellt immer alles wieder auf 0. Egal, was im ersten war
Andere Phasen können ab 4:4 in einem Satz sein. Oder natürlich 5:5.
Wenn ich darüber nachdenken würde, dann würde ich in Phasen und erst dann in Punkten denken.
Beste Grüße
Marco
Was denkst du?