Einmal drin, gibt es selten einen Weg heraus.
Kampfkunstschulen verfolgen ein simples, unglaublich motivierendes Konzept. Du startest mit einem weißen Gurt. Das bedeutet, du beginnst gerade erst mit deinen Tritten, Schlägen und Ausweichmanövern.
Hast du ein paar Leute auf die Matte gelegt, verändert sich die Farbe deines Gurtes.
Bis du schlussendlich ein Großmeister bist und den schwarzen Gurt tragen darfst.
Psychologisch ist das eine clevere Strategie. Der Schüler kann sich in kleinen Schritten verbessern.
Er hat ein Endziel im Kopf und das nächste kleinere Ziel vor Augen. Kleine Rückschläge in der Entwicklung können viel besser verkraftet werden. Die Motivation, zu lernen, bleibt hoch.
Problem?
Beim Tennis fehlt eine solche stufenweise Progression. Wir haben unsere Ligen und Rankings. Aber diese Stufen sind zu grob. Sie lassen sich nicht auf dem Platz spüren. Als LK 12er kannst du problemlos gegen einen Mondballspieler mit LK 15 2:6 und 3:6 untergehen.
Du willst aber Stück für Stück ein besserer Spieler werden.
Nach welchen Progressionsstufen kannst du beim Tennis gehen? Woran merkst du, dass du besser spielst als letztes Jahr?
Seit knapp einem Jahr trainiere ich mit Kettlebells.
Das sind diese Kugelhanteln mit Griff. Viele unterschiedliche Übungen lassen sich mit diesen Kügelchen trainieren. Beim Kettlebell-Training gibt es eindeutige Progressionsstufen.
Du fängst mit einer Kettlebell und den leichtesten Übungen an.
Dann steigerst du dich im Gewicht. Mit der Zeit werden die Übungen schwieriger.
Dann, wenn du die schwierigsten Übungen mit einer Kettlebell gemeistert hast, schnappst du dir eine zweite Kettlebell und trainierst dich mit zwei Kugelhanteln wieder von der einfachsten zur schwierigsten Übung.
Dieses Konzept, ähnlich wie bei der Kampfkunst, ist extrem motivierend. Man spürt Fortschritte und weiß genau, wo man steht.
Beim Tennis fehlte mir eine ähnliche, stufenweise Progression der individuellen Fähigkeiten des Spielers.
Dazu kommen wir gleich.
Zunächst ...
Stell dir vor, du baust ein Puzzle zusammen und weißt aber nie, wie weit du bist.
Dann kann es dir passieren, dass du kurz vor dem Ziel die Motivation verlierst. Obwohl du schon sehr weit gekommen warst.
Wir Menschen benötigen Bestätigung und Erfolgserlebnisse. Diese Erfolgserlebnisse können winzig sein. Da ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass eine stetige Entwicklung der trainierten Fähigkeiten spürbar ist.
So entsteht gesunde Motivation. Du kannst über Jahre voll durchzuziehen.
Das führt uns zu den Progressionsstufen, die ich im Tennis entdeckt habe. Diese entstammen nicht von einem Professor oder einem Buch. Sie sind nicht aus einer Theorieblase gekrochen.
Es sind die Stufen, die ich in über 30 Jahren zwischen T- und Grundlinie feststellen konnte.
Lass uns starten.
Du beginnst mit dem Tennissport.
Voller Euphorie suchst du dir den passenden Tennisschläger. Schuhe, und Shirt sind ebenfalls top.
Dein Ziel zu Beginn deiner Karriere?
Ein Gefühl für das Timing beim Schlag entwickeln. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Als Tennis-Anfänger hat dein Ego nichts zwischen T- und Grundlinie verloren. Bevor du eine rasante Vorhand-Longline hinten ins Eck spielen kannst, brauchst du ein Gefühl für den Sport. Du musst lernen, wie sich der Ball auf der Bespannung verhält. Dein Timing ist wichtig.
Wie bewegst du dich richtig zum Ball? Wann holst du aus? Wie holst du aus?
Wie findest du den idealen Treffpunkt?
All diese Dinge sind auf Stufe 1 deine Ziele. Deine Ziele sind nicht schnelle Vorhände, Rückhand-Topspin und ein 200 km/h Aufschlag.
Das stellst du hinten an.
Gefühl und Kontrolle stellst du weit über das Tempo deiner Schläge. Wenn du dann ein gutes Gefühl für den Sport gewonnen hast, kannst du langsam rüber zu Stufe 2 wechseln.
Was bedeutet es, ein gutes Gefühl beim Tennis zu entwickeln?
Du spürst direkt nach einem Schlag, ob der Ball ins Feld geht oder nicht. Du triffst den Ball mittiger, nicht mehr so nah am Rahmen. Du stehst bei den meisten Schlägen gut zum Ball und viele der Bewegungsabläufe sind bereits zu Automatismen geworden.
Dann bist du auf einem guten Weg.
Du schwingst seit zwei bis drei Jahren das Racket.
Dein Ziel?
Spiele den Ball sieben- bis zehnmal konstant ins Feld.
Ich weiß, ich weiß ... Das klingt nicht spannend. Vielleicht klingt es für dich auch nicht schwierig. Aber spiel mal so ein Tennis. Spiele die Murmel eine Stunde lang konstant in den Ballwechseln sieben- bis zehnmal zwischen T- und Grundlinie.
Du wirst schnell merken: Das ist schwieriger, als man meint.
Das sichere Grundlinientennis ist seit Beginn unserer oft geliebten, oft gehassten Lieblingssportart der Grundpfeiler eines jeden Champions. Es gibt keinen großen Champion, der nicht ein sicheres Grundlinienspiel als seine Basis hatte. Sei es Borg, Tracy Austin, Martina Hingis, Novak Djokovic, Rafael Nadal, Roger oder heutzutage Jannik Sinner.
Sie alle hatten und haben eines gemeinsam:
Sie spielen die Murmel mühelos, sicher und konstant so nah wie möglich Richtung Grundlinie. Wenn dieses "Gesetz" für die großen Champions gilt, dann gilt es erst recht für dich.
Lass dich nicht von spektakulären Schlägen in deinem Verein ablenken. Fokussiere dich auf ein sicheres Spiel von der Grundlinie.
Mein alter Trainer im Leistungszentrum in Meinerzhagen sagte früher: "Marco, du bist doch nicht der Weihnachtsmann!".
Was meinte Coach Vogl damit?
Weniger Fehler, mehr Sicherheit. Weniger Tempo in den Schlägen, dafür mehr Länge.
Werde in dieser Disziplin so stark wie möglich. Spiele nicht schnell, spiele sicher. Hast du diese Disziplin gemeistert, dann kannst du deine Saiten richten und dich auf die nächste Stufe konzentrieren.
Du ackerst seit knapp fünf Jahren zwischen T- und Grundlinie.
Dein Ziel?
Spiele den Ball sieben- bis zehnmal konstant mit Topspin und kontrolliert zwischen T- und Grundlinie und lass den Gegner dabei laufen.
Jepp, die Progression mag nur minimal erscheinen. Einige Leser murmeln jetzt vor sich hin: "Nun, das ist doch dieselbe Stufe wie Stufe 2 zuvor!".
Nein, nicht ganz.
Denn es macht einen riesigen Unterschied, wie die Qualität deiner Schläge ist, die du sieben- bis zehnmal zwischen T- und Grundlinie spielst.
Du kennst die Mondball-Heinis, die dir die Murmel mit 0,8 km/h zwei Zentimeter vor die Grundlinie spielen? Das ist auch eine Qualität, keine Frage.
Auf den höheren Stufen verändert sich die Qualität dieser Schläge. Sie sind auch sicher, lang und kontrolliert. Aber mit einem ganz anderen Tempo, einem ganz anderen Stil.
Auf Stufe 3 bist du in der Lage deinen Gegner quer über den Platz zu jagen. Du spielst bewusst gegen den Lauf. Du treibst den Gegner mit Treibschlägen aus dem Feld.
Dabei gehst du ein kalkulierbares Risiko. Du schießt deine Gegner noch nicht vom Platz. Vor allem nicht in Medenspielen.
Dazu eine witzige Story:
Vor etlichen Monden spielte Alex bei uns im Verein.
Er war groß, athletisch, Ende 20 und spielte eine wunderbare Kugel. Schöne Schleife bei der Vorhand, solide beidhändige Rückhand. Er schwebte förmlich über den Platz und schlug wie ein Holzfäller auf.
Im Training spielte er ein unglaubliches Tempo in den Grundschlägen. Locker Stufe 4-5. Er schlug viel bessere Spieler und war der typische Trainingsweltmeister. Im Medenspiel sah die Geschichte dann aber anders aus.
Aus den knallharten Vorhänden wurden ängstliche Schubser. Die Rückhand spielte er nur noch als Slice - allerdings nicht wie Graf. Den Aufschlag warf er nur noch ein. Er servierte viele Dubletten. Von seinem ersten Granatenaufschlag war nichts mehr übrig.
Man hätte meinen können, ein Alien hätte sich in seinem Körper versteckt.
Hätte Alex so im Training gespielt, wäre er im Verein niemals aufgrund seiner scharfen Schläge aufgefallen. Das zeigt sehr gut, wie groß der Unterschied der Spielweise sein kann. Und es zeigt auch, warum Stufe 3 eine ganz andere ist als Stufe Nummer 2. Auf Stufe Nummer 2 hätte Alex im Medenspiel ebenfalls aggressiv Vorhand gespielt. Mit Kontrolle, aber Druck.
Er hätte seine Rückhand durchgezogen und vor allem einen “echten” ersten Aufschlag serviert.
Wir halten fest:
Auf Stufe 3 bist du ein Spieler, der im Medenspiel mit einem dosierten Risiko in seinen Schlägen die Linien sucht. Du bewegst den Gegner, hast noch keine echten Waffen im Spiel, machst aber auch wenig Fehler.
Du kannst mit Spin-Schlägen für Druck sorgen.
Werde auch in dieser Disziplin der beste Spieler in deinem Verein.
Anschließend greifst du Stufe 4 an wie Carlos Alcaraz die Spitzenposition im ATP-Ranking.
Du spielst über fünf (oder mehr natürlich, keine Bange) Jahre Tennis, hast dich im Ranking leise nach oben gespielt und hast Erfahrungen als Turnierspieler gesammelt.
Dein Ziel?
Du spielst ein super-konstantes Grundlinienspiel, kannst die Schwächen des Gegners lesen und kiloweise Salz in diese Wunden streuen.
Du merkst schon, jetzt kommt die taktische Komponente mit hinzu.
Die ersten drei Stufen ging es nur um dich. Um dein Spiel, deine Schläge, deine Sicherheit in den Schlägen. Jetzt, lieber Freund der mittig getroffen Vorhand-Longline, schauen wir auf den Schlüssel zu einem großen Tennis.
Wo dieser Schlüssel liegt?
Auf der Seite deines Gegners.
Ich werde dieses Spiel bei unseren Clubmeisterschaften niemals vergessen. Es war irgendwann in den 90er Jahren. Als es noch Walkmans statt Instagram gab. Viel gesünder für die Jugend.
Es spielte Philipp gegen Frank. Beide spielten in der ersten Herrenmannschaft in der Verbandsliga. Aber Philipp spielte an 2, Frank an 6. Hast du die beiden lange Bälle spielen gesehen, hast du keinen großen Qualotätsunterschied gesehen. Frank konnte das Tempo von Philipp locker mitgehen. Beide bewegten sich gut, beide hatten auf den ersten Blick keine Schwäche in ihrem Spiel.
Der Clou: Das Match ging 6:1 und 6:2 für Philipp aus. Frank hatte nie im Match die Chance überhaupt mal ranzukommen. Wie konnte das sein? Wie war es möglich, dass es in einem Match zwischen zwei von den Schlägen her gleichstarken Spielern zu einem solch klaren Ergebnis kommt?
Das war ganz einfach.
Philipp, Stufe 5 Spieler, wusste exakt, was er taktisch tun musste. Frank hingegen kannte das Wort “Taktik” höchstens vom Kreuzworträtsel. Philipp hatte eine mächtige Stärke in seinem Spiel: Vorhand. Alles in seinem Spiel war darauf ausgerichtet. Er stand im Ballwechsel weiter in der Rückhand-Ecke. Er wollte seine Returns mit der Vorhand spielen. Er wollte direkt nach seinem guten Aufschlag Vorhand spielen. Alles, was Philipp tat, war auf Vorhand programmiert.
Das Schöne an diesem Tag für Philipp?
Frank merkte das nicht. Frank haderte mit seinem Spiel. Unglaublich. Er kassierte Vorhand-Winner um Vorhand-Winner, schimpfte aber über sein eigenes Spiel. Das ist das Ego beim Tennis. Es dreht sich eben nicht immer nur um dich. Vor allem nicht, wenn du langsam ein besseres Niveau spielst. Frank checkte nicht, was in den Ballwechseln passierte.
Und deswegen passierte immer dasselbe.
Philipp konnte gemütlich Vorhand spielen. Frank hatte keine Ahnung, was geschah. Das Spiel war schneller vorbei als Reilly Opelka aufschlägt.
Auf Stufe 4 setzt du deine spielerischen Stärken gegen die Schwächen des Gegners. Du bist in der Lage, die Schwächen auch dir unbekannter Gegner schnell im Match zu entschlüsseln. Du hast einen Blick für das Spiel. Stichwort: Spielintelligenz. Du hast einen klaren Plan, wie du mit welchen Schlägen zum Sieg finden kannst.
Meistere auch diese Disziplin und mache dich dann auf hzur letzten Stufe.
Du bist auf dem Weg Richtung einstellige LK (oder besser). Du hast dich als Spielertyp gefunden.
Du weißt, was deine Stärken sind.
Dein Ziel?
Du formst deine Stärken noch stärker, lernst deine Schwächen zu minimieren und spielst ein nur schwer angreifbares Tennis. Das bedeutet nicht, dass du jeden Gegner mit einem fulminanten Hochgeschwindigkeitstennis vom Platz pustest.
Auf Stufe 5 weißt du ganz genau, wer du als Tennisspieler und Tennischarakter bist. Du kennst deine Schwächen. Du kennst deine Stärken.
Du kennst den Weg, deine Stärken zu maximieren und deine Schwächen zu minimieren.
Im Jahr 2006 war ich bei einem Hallenturnier in Werne.
Dort spielte die Ü-40-Konkurrenz. Leider erinnere ich mich nicht mehr an den Namen des Spielers. Er sah vor seinem Match gar nicht wie ein Modellathlet aus. Er wirkte etwas pummelig, aber kräftig. Ich war als Zuschauer und Analyst vor Ort und erfuhr, dass dieser Kugelblitz die Nummer 1 des Turniers war.
Es wurde ein verdammt hohes Niveau auf den anderen Plätzen gespielt und ich war gespannt, wie “die 1” sich schlagen würde.
Und siehe da, dieser Mann war der Inbegriff des Stufe 5 Spielers.
Er schlug verdammt smart auf. Viel mit Slice, viele Tempowechsel. Kein Aufschlag war wie der zuvor. Er streute mit seiner Rückhand viel Slice ein, spielte eine kerzengeradem flache Vorhand. Bei all diesem flachen Spiel machte er kaum Fehler. Er setzte die Bälle klug an die Linien. Sein Gegner kam fast nie dazu, selbst in der Rally zu agieren.
Dieser Mann wusste ganz genau, dass er nicht drei Meter hinter der Grundlinie die Bälle ausgraben könnte. Er wusste auch, dass er niemals einen Gegner vom Platz schießen würde. Aber er kannte seine Stärken. Er wusste, wie er seine individuellen Stärken gegen die Schwächen des Gegners setzen konnte.
Was bedeuten diese Stufen jetzt für dich?
Ganz gleich, wo du dich befindest. Wurscht, wie alt du bist.
Fokussiere dich auf die nächste Stufe. Mache dir den Tennissport nicht noch komplizierter, als er es eh schon ist. Aus meiner Zusammenarbeit mit Profispielern kann ich dir sagen:
Die Kunst ist es, dein Tennis so leicht wie möglich zu machen.
Schau dir Borg an.
Mit Spin, lang und hoch rein - so oft wie es geht.
Oder den Djoker.
Lang rein, gut bewegen, keine Fehler machen.
Oder Roger:
Ab auf die Grundlinie, Vorhand so oft wie möglich einsetzen, volle Attacke. Keiner dieser Champions hatte eine furchtbar komplizierte Spielphilosophie.
Finde heraus, auf welcher Stufe du gerade stehst. Greife dann die nächste Stufe mit kleinen Schritten an. Setze dir Mini-Ziele, hole dir Mini-Erfolgserlebnisse.
Und klettere dann immer weiter auf der Leiter des erfolgreichen Clubspielers nach oben.
Viel Spaß, Erfolg und vor allem Gesundheit auf diesem Weg!
Halte die Rückhand lang und deinen Geist ruhig,
Dein Marco
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